Meet the Rebels - Rebelli, wie geht's euch?
Meet the Rebels
In der Reihe "Meet the Rebels" wollen wir der unpersönlichen Diskussion der (sozialen) Medien eine persönliche Note entgegen setzen. Abseits von politischen Grabenkämpfen und Frontbildung (denn das klingt alles so schlimm nach Krieg) wollen wir euch das wichtigste an der Rebellion vorstellen, den/die einzelne(n) RebellIn.
Extinction Rebellion ist dezentral und offen für Alle, die sich mit unseren Prinzipien identifizieren können. Doch vor Allem ist die Rebellion divers in ihren Emotionen, Gedanken und Eindrücken, und das ist eine wunderbare Sache. In mehreren Episoden möchten wir deshalb unsere Gedanken mit euch teilen.
Vielleicht wird dadurch euer Durst nach Positionierung nicht gestillt, aber hey, wir sind alle nur Menschen, im Zweifelsfall, fragt einfach nach.
Episode 1 - MAX
Ich hab keinen Bock Twitter zu checken. Beim Gedanken an die nächste Sitzung mit anderen Klimagruppen krieg ich Schweißausbrüche. Keine Ahnung, ob ich noch mal einen Raum bei dem alternativen Bildungsprojekt bekomm. Die Gedanken pendeln zwischen Wut, Trauer und einem Gefühl tiefer Ohnmacht. Ich schlaf grad nicht gut.
Diese Symptome kommen dir bekannt vor? Herzlichen Glückwunsch, du bist vermutlich Aktivist:in bei XR Deutschland. Als Klimaaktivist:in ist es nicht ungewöhnlich unangenehme Gefühle zu verspüren, immerhin beschäftigst du dich täglich mit dem 6. Massenaussterben und der Tatsache, dass deiner Regierung das ganze ziemlich egal zu sein scheint. Und genau wie die Klimaerhitzung sind diese Gefühle menschengemacht. Der Adressat dieser Gefühle sitzt in UK, und dass ich diese Gefühle empfinde hat damit zu tun, warum ich bei XR bin.
Bevor ich zu XR kam habe ich die Klimakrise und ihre Konsequenzen, mehr oder weniger erfolgreich, ausgeblendet. „Das wird schon irgendwie werden“, „okay, dann gibt’s halt keine Eisbären mehr, na und“, „dann ziehen wir halt die Deiche höher“. Das erfordert einiges an mentaler Gymnastik und hat auch nur semi-gut funktioniert. Aber ich habe es durchgehalten, weil die meisten anderen es auch machen und ich nie wirklich etwas anderes kennengelernt habe als das Leben in einem sicheren, wohlhabenden Land. Es ist doch noch immer gutgegangen. Das wird doch wohl so weitergehen… oder?
Ich krebste mich so durch und sobald ein alarmierender Bericht über schmelzende Gletscher oder Ernteausfälle auftaucht, guckte ich in die andere Richtung und zwang mich, das nicht zu Ende zu denken. Ein komisches Gefühl in der Magengegend bleibt. „Vielleicht sollte man was tun“. Aber was will ich als Einzelner, als Normalo, schon machen? Grüne wählen? Vielleicht eine Petition für die Fledermäuse unterschreiben? Es ist als würde man versuchen einen Vulkanausbruch mit einem Gartenschlauch zu löschen. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten scheinen banal im Angesicht der Krise. Also bleibt nur eins, dieses nagende Gefühl von Zweifel und Verzweiflung tiefer herunterschlucken. Morgen sieht die Welt wieder anders aus. So funktioniert Verdrängung.
Und auf einmal stolper ich über einen Artikel. Ein Trupp schräger Hippies blockiert im November Brücken in London; sie fordern ihre Regierung zum Handeln auf. Einfach so am helllichten Tag. Mir ist fast die Kinnlade runtergefallen. Es wird gesungen. Eltern haben ihre Kinder mitgebracht. Leute die in ihrem Leben noch nicht mal im Supermarkt geklaut haben lassen sich wegtragen. Die Aktivist:innen scheinen von ihrem Erfolg fast genauso überrascht zu sein wie die Polizist:innen, die etwas ratlos um sie herum stehen. Politiker:innen hören ihnen zu. Die Presse flippt aus. Es ist bunt, es ist laut, es ist unglaublich.
Ach du scheiße. Da bewegt sich was. Das scheint zu funktionieren. Und hey, in meiner Stadt gibt’s die auch. Ich glaub ich geh mal zu 'nem Treffen…
So fing es an. Etwa ein Jahr nach Erscheinen dieses Artikels schau ich während der Arbeit in den Chat meiner Ortsgruppe. Wir haben unser erstes Swarming gemacht, also für einige Minuten den Verkehr an einigen Kreuzungen in der Innenstadt unterbrochen, um die Autofahrer:innen auf die Dringlichkeit der Krise hinzuweisen. Es gab gute Medienresonanz, wir haben unsere Botschaft rübergebracht. An unserem Teil der Ostseeküste reden die Leute an diesem Tag über die Klimakrise. Der Hitlergruß aus einem wartenden Auto? Macht tief betroffen. Die kaum verhohlenen Todesdrohungen in den FB-Kommentaren? Waren zu erwarten. Für uns zählt das Ergebnis. Die Rebell:innen sind etwas durchgefroren, aber alle sind sich einig: geile Aktion.
Es sind ein paar echt gute Tage. Und dann bekomme ich eine Nachricht. Ich lese nur Hallam und Holocaust und mir läuft es richtig eisig den Rücken runter. Was ist geschehen: Roger Hallam, einer der 15 Mitbegründer der Bewegung Extinction Rebellion und ein profiliertes Mitglied, bemüht nicht nur einen relativierenden Holocaustvergleich, nein er benutzt ihn ganz bewusst, weil er sich, so geht es aus einer Mail von ihm hervor, erhofft damit mediale Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Es ist der Moment in dem sich über dir der eben noch strahlend blaue Himmel mit schwarzen Wolken zuzieht und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es so richtig runterkommt.
Doch Herr Hallam hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Menschen in meiner Ortsgruppe, die Menschen, die überall auf der Welt für XR aktiv sind, sind entsetzt. Wir sind aktiv geworden, um einen Beitrag im globalen Kampf gegen die Untätigkeit im Angesicht der Klimakrise zu leisten. Wir sind aktiv geworden, um auch für jene aufzubegehren, deren Stimmen ignoriert werden, weil sie im globalen Süden leben. Wir sind nicht aktiv geworden, um krude und faktisch falsche Bemerkungen zum Holocaust mitzutragen. Oder zu Rassismus und Sexismus. Nein. Nein, Nein, Nein. Diese Äußerungen sind unerträglich. Sie bedrohen alles, was wir mühsam aufgebaut haben. Sie tun weh. Wie sehr müssen sie erst die Menschen jüdischen Glaubens schmerzen. Wir selbst empfinden ein Gefühl der Machtlosigkeit, ein Gefühl des Ausgeliefertseins – und wir sind richtig richtig sauer.
Wir, das sind tausende Menschen allein in Deutschland. Menschen jeden Geschlechts, jeden Alters, jeder und keiner Konfession, jeder sexuellen Orientierung, jeder sozialen Herkunft. Wir geben uns so viel Mühe in unserer Freizeit etwas auf die Beine zu stellen – Aktionen, Vorträge, Mobilisierung und Vernetzung mit anderen Gruppen. Helfen, die klimatische Bruchlandung, die wir hinlegen werden, vielleicht ein wenig abzumildern. Die Leute aufrütteln. Das tun, was wir als unsere Bürgerpflicht betrachten, weil es uns nicht egal ist wie unser aller Zukunft aussieht.
Wir geben alles. Wir schlucken die Beleidigungen auf der Straße und in den sozialen Medien. Wir lassen uns als Sekte verunglimpfen, als Öko-Terrorist:innen, gekaufte Protestler:innen, Klima-Hysteriker:innen oder Querfront. Wir versuchen darauf so gut wir es können mit gewaltfreier Kommunikation zu reagieren. Wir fressen Scheiße. Aber wir tun es aus Überzeugung und weil es das einzige ist, was jetzt noch Sinn ergibt. Und dann, wenn es sich grad beginnt einzugrooven, läuft Roger Hallam in der Presse Amok und wir dürfen die Scherben hinter ihm aufkehren. Müssen wieder erklären, dass wir keine Sympathien für rechtes Gedankengut haben. Müssen mit der Frustration und Hilflosigkeit leben. Dafür sind wir nicht zu XR gekommen. Basta!
Dieser Mensch spricht nicht für uns. Er sagt uns nicht was wir zu tun haben. Niemand tut das. Nicht jetzt, nicht irgendwann. Dies ist das Ende unserer Beziehung zu Roger Hallam.
Wir machen weiter unser eigenes Ding. Wir werden auf dem Weg Fehler machen. Aber wenn wir in Zukunft um Entschuldigung bitten müssen, dann doch zumindest für die Sachen, die wir selber verbockt haben. Wir Rebell:innen gehen nicht mehr zurück. Es gibt nichts wo wir hingehen könnten. Während sich unsere Welt mit jedem Tag ein kleines bisschen mehr erwärmt, bleiben wir unseren Prinzipien treu. Seite an Seite mit allen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Solidarisch miteinander und auch mit jenen, die andere Methoden einsetzen als wir, um für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Wir beschreiten unbeirrt den Weg des gewaltfreien zivilen Ungehorsams und wir werden ihn bis zum Ende gehen. Das sind wir uns schuldig.