Offener Brief: Umbau zur weltweit ersten klimaneutralen Hansestadt bis spät. 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Senator für Infrastruktur, Umwelt und Bau,
die Hanse- und Universitätsstadt Rostock hatte im September 2019 den „Klimanotstand ausgerufen“ - ein zunächst nur formaler Akt, aber immerhin ein erstes Statement in einer Zeit, wo die „große Politik“ den Kopf in den Sand steckt, während Australien und Sibirien brennen. Leider erfolgte er eher symbolisch und endete beim vermeintlichen Fleischverbot bei Empfängen der Stadtverwaltung.
„Klimanotstand“ bedeutet nach unserem Kenntnisstand, dass alle kommunalpolitischen Entscheidungen und Maßnahmen auf ihre Klimarelevanz geprüft werden. Da wären ja einige Aspekte wirklich naheliegend:
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Wir hätten z. B. erwartet, dass es ein massives Aufforstungsprogramm ins Leben gerufen werden würde und zehntausende neue Bäume gepflanzt werden, um zukünftig wenigstens die gravierendsten CO2-Belastungen zu kompensieren und als natürlicher Sonnenschild für notwendigen Schatten sorgen werden.
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Sinnvoll wäre damit auch die sofortige Erstellung einer Konzeption zur autofreien Stadt mit einem modernen Stadt-Umland-Bahn-Projekt, einem modernen Schnellradwegenetz sowie einem innovativen Lieferverkehr-, Park-and-Ride-, ÖPNV- und Carsharing-System.
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Naheliegend ist sicher auch der sofortige Ausstieg der Stadt aus dem Kreuzfahrsegment, deren Schiffe zwar ein lustig buntes Marketing aufführen, aber nicht nur unter dem Corona-Aspekt als „schwimmende Petrischalen“ gelten und keinen relevanten Zweck erfüllen, sondern auch in extremem Maße für eine katastrophale CO2-Bilanz sorgen.
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Und dann wären da noch die Müll- und Klärschlammverbrennungsanlagen sowie das Steinkohlekraftwerk, die überhaupt nirgendwo (und schon gar nicht so dicht an einer Großstadt oder in einer Tourismusregion) mehr eine Betriebserlaubnis erhalten dürften.
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Schlussendlich tun die Stadtwerke seit Jahrzehnten so, als wenn das Verbrennen von Gas ein Akt des Umweltschutzes wäre und bis ans Ende aller Zeiten so weitergehen könnte, nur weil im Moment noch über Zertifikate Greenwashing betrieben werden kann. Wir sollten die bereits begonnen Projekte zur schnellstmöglichen Umstellung auf Erneuerbare vervielfachen, anstatt das anachronistisches Fernwärmenetz weiter auszubauen. Mit den Stadtwerken und den Wohnungsgesellschaften müssen wir sofort eine sinnvolle Heiz-/Kühlsystem-Analyse erstellen, die ggf. auch ein neues 1000-Dächer-Solarprogramm einschließt, mit dem die dezentralen Luftwärmepumpen betreiben werden.
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Der Flughafen Rostock-Laage ist zudem chronisch defizitär und setzt die falschen Anreize für die Zukunft. Selbst unter aktuellen Bedingungen gibt es eigentlich keinen finanziellen, strategischen, wirtschaftlichen oder sozialen Grund gegen seine baldige Schließung.
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Die industriell wirtschaftenden Landwirte der Region leiden seit Jahrzehnten unter einer völlig verfehlten Anreizpolitik und sind zumeist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch am Ende. Hier würde ggf. eine Energie- und Lokalversorgungsinitiative helfen.
Wir sind der Meinung, dass all das vortreffliche Ideen und Ansätze sind, die durch viele weitere ergänzt werden könnten, die Sie mittlerweile von den Rostocker:innen erhalten haben. Das bedeutet: Vor uns liegt ein gigantischer Berg Arbeit, um den notwendigen Transformationsprozess sozial verträglich realisieren zu können und die Region klimaneutral umzubauen. Dabei würden wir die sich andeutende Klimakrise und ihre Folgen ebenfalls ein Stück weit eindämmen und die Erderwärmung zusammen mit anderen Regionen und Staaten weltweit vielleicht auf die für die menschliche Zivilisation wohl gerade noch erträglichen 1,5°C Erderwärmung zu begrenzen. Alles andere wollen wir uns lieber gar nicht erst vorstellen. Bei Bedarf können wir Ihnen aber gern den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenfassen.
Seit zirka zwei Jahren fordern wir als weltweite Klimaschutzbewegung mit Aktionen des zivilen Ungehorsams, dass Politik und Medien die Wahrheit über den voranschreitenden Klimawandel und seine Folgen sagen. Das ist inzwischen bereits auf sehr vielen Ebenen erfolgt, die Fakten liegen auf dem Tisch und sind unwidersprochen. Seit Beginn der Corona-Krise spätestens wissen wir außerdem, dass wir auf die Wissenschaft hören sollten, die seit 1972 (nicht zuletzt mit den jährlichen IPCC- Berichten) permanent auf die fatalen Folgen des nach wie vor propagierten, unbegrenzten Wachstums hinweist. Aber: Wir müssen jetzt sofort demokratisch und effizient handeln, um die begrenzten Ressourcen sinnvoll und zum Wohle aller einzusetzen.
Gleichzeitig wollen wir Sie damit an die Verantwortung erinnern, die Sie tragen. Ihr Handeln
entscheidet über unsere Zukunft. Unsere Vorfahren haben sich vor Jahrhunderten mutig und
entschlossen zur Handelsgemeinschaft der Hanse zusammengetan. Aus vereinzelten, wehrlosen
Städtchen war eine machtvolle, blühende Region mit Auswirkungen bis in die heutige Zeit entstanden,
weil zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Lassen Sie uns das
Wagnis wiederholen und die erste KLIMANEUTRALE HANSESTADT der Welt werden. Wenn wir
Sie richtig verstanden haben, sind Sie genau für eine solche Herausforderung angetreten. Lassen Sie
uns das gemeinsam voranbringen - zusammen mit den Landwirten der Region, mit der lokalen
Wirtschaft, der Wissenschaft unserer Stadt und der Schwarmintelligenz der Rostocker
Einwohner:innen.
Wir würden uns freuen, Sie dabei unterstützen zu dürfen und werden Sie mit Aktionen des zivilen Ungehorsams daran erinnern, dass es hier nicht um eine politische Meinung oder ein Hobby geht, sondern um unser aller Zukunft, und spätestens für unsere Kinder um deren Überleben.
Mit herzlich-rebellischen Grüßen
Extinction Rebellion Rostock