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Abreißen, versenken, verhindern: Verschwundene Orte statt lebendiger Erinnerungskultur

In diesem Jahr feiert die Hansestadt Rostock ihren 800. Geburtstag. Das wäre ein schöner Anlass,
an die Geschichte der Stadt und ihrer kulturellen Besonderheiten zu erinnern. Von Seiten der
Verwaltung sind daher alle Initiativen und Vereine in den Stadtteilen eingeladen, sich in die
Feierlichkeiten einzubringen und Rostock von seiner schönsten Seite zu präsentieren.

Doch unsere Erinnerungen versetzen uns nicht in Jubelstimmung. Wir wollen die Hürden, die uns seit
vielen Jahren in unserem Engagement für eine von Bürgerinnen und Bürgern getragene
Stadtkultur in den Weg gestellt werden, nicht einfach weglachen. Daher beteiligten wir uns am
Auftakt des Jubiläumsjahres mit einer Aktion, die neben der von offizieller Seite inszenierten
Zurschaustellung von Leuchtturmprojekten auf ganz besondere Kultureinrichtungen und Denkmäler
hinweisen soll:

Orte, die in den letzten Jahren verschwunden sind oder bald verschwinden werden. Unsere kleine Auswahl verschwundener Orte Rostocks steht symbolisch für den Mangel an (Erinnerungs-)Kultur in unserer Stadt:

  1. Die MS Stubnitz liegt - vertrieben durch Gleichgültigkeit und kulturelles Unverständnis - in
    Hamburg und gilt dort als kulturelles Highlight.
  2. Das vor hundert Jahren als „Landeskrüppelanstalt“ errichtete Elisabethheim wurde im
    November 2017 abgerissen, um einem Mensaneubau zu weichen, für den es noch gar nicht
    die nötigen Genehmigungen gibt.
  3. Das letzte „Kongoschiff” der Albertville-Klasse, die MS Georg Büchner, liegt durch ein
    vorschnelles und intransparentes Handeln vieler Akteure jetzt für immer zerstört auf dem
    Meeresgrund vor der polnischen Küste.
  4. Die Spielstätte „Kleines Haus” des Volkstheaters im ehemaligen Hotel „Haus Doberan”
    wurde 1996 wegen baupolizeilicher Mängel gesperrt und verfiel seitdem. Ein Investor hat es
    inzwischen weitgehend abgerissen; was übrig bleibt ist: Fassade.
  5. Im Gebäude des ehemaligen SBZ Toitenwinkel wollte das Projekt „Soziales Rostock“ ein
    innovatives Wohnprojekt entstehen lassen, um den Stadtteil bunter und lebenswerter zu
    gestalten. Da derartige Innovation dort nicht erwünscht war, erfolgte der Abriss im Februar 2016.
  6. Das Schauwerk, ein Theaterprojekt der HMT und der Theatergruppe „Freigeister” im
    ehemaligen Theater am Stadthafen wurde zu einem einzigartigen Kulturort in Rostock
    entwickelt. 2016 wurde die Bereitstellung der Räumlichkeiten widerrufen; seitdem stehen
    sie leer.
  7. Trotz Denkmalstatus, fragwürdiger Gutachten und langanhaltender Proteste muss die
    Heinkelwand – das letzte Zeugnis eines überaus problematischen Kapitels unserer
    Stadtgeschichte einem Neubauprojekt weichen: Abriss im Januar 2018.
  8. Obwohl seit 2008 unter Denkmalschutz wurde die Halle 1 im DMR jahrelang dem Verfall
    preisgegeben, danach als „Vorsichtsmaßnahme“ wegen Einsturzgefahr abgerissen und
    dadurch auf dem Immobilienmarkt erst wirklich wertvoll.
  9. Das Gebäude der ehemaligen Anker-Spirituosenfabrik in der Doberaner Straße wurde
    jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, mehrmals auch demoliert und angezündet. Heute
    steht nur noch die Fassade für einen Supermarkt.
  10. Die Eisenbahnrampe auf der Mittelmole in Warnemünde galt als technisches Denkmal
    für die erste internationale Eisenbahnfähre überhaupt und als politisches Denkmal als
    Grenzübergang in den „Westen”. In Gedser steht an gleicher Stelle ein Museum.

Was wäre Rostock heute, wenn diese Orte und Projekte die Stadt weiterhin prägen würden?
Wie würden sich mehr gelingende Beispiele für kulturelles, soziales und politisches Engagement von
Bürgerinnen und Bürgern auf die demokratische Kultur in unserer Stadt auswirken?

Der Blick zurück, auf die vertanen Möglichkeiten, soll unsere Sinne schärfen. Soll uns helfen, zu erkennen, was die Stadt braucht, um ein guter Lebensort zu sein.

Wir glauben, dass viele der politischen EntscheidungsträgerInnen in Rostock, die jetzt ein schönes Festjahr mit toller Außenwirkung inszenieren, zu denjenigen zählen, die bürgerschaftliches und kulturelles Engagement innerhalb der Stadt systematisch ausbremsen und blockieren.

Deshalb ist uns nicht nach Feiern zumute.

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Kommentare

  1. Also, was kann man wie besser machen?
    Ich denke, dass jedes der aufgezählten Beispiele leider eine komplexe Mengelage an Interessen vereint 😒

  2. Es wäre sehr hilfreich, wenn diese Initiative aus der Anonymität herausträte und vielleicht auch Mitglied bei RoBIN würde. Ihr Anliegen braucht viel Öffentlichkeit und sehr viel Unterstützung, wenn es nicht beim Protokollieren immer neuer Schadtagen bleiben soll.
    Günter Hering

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