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offener Brief XR Rostock

Offener Brief an das JAZ e.V. Rostock

Die zu erwartenden Auswirkungen der voranschreitenden Erderwärmung wurden von
Wissenschaftlerinnen bereits in den 1970er und 1980er Jahren ebenso klar wie drastisch
beschrieben. Reaktionen auf die bedrohlichen Szenarien seitens Politiker:innen auf der ganzen Welt
waren nicht ansatzweise angemessen und in vielen Fällen gar überhaupt nicht existent. Sie haben
seit Jahrzehnten viel zu wenig getan, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Lobbyismus von
Industrien und Interessensgruppen trug viel dazu bei, wirksames politisches Handeln zu verhindern –
Kontrareaktionen beherzter Akteure auf diese destruktiven Muster ignorierte man.
Auch das war ein Grund, warum den meisten Personen erst in den vergangenen anderthalb Jahren
klar wurde, wie es um unseren Planeten steht. Große Mengen von Menschen trafen sich auf den
Fridays-for-Future-Demonstrationen - politisches Handeln ließ dennoch auf sich warten. Aus dem
Gefühl heraus, dass hier mehr Nachdruck nötig sein würde, gründete sich Extinction Rebellion und
tat alles, um drei zentrale Ziele ins öffentliche Bewusstsein zu rücken: Sagt die Wahrheit! – sagt der
Öffentlichkeit ehrlich, wie es um unseren Planeten steht. Handelt jetzt – innerhalb von sechs Jahren
müssen wir es schaffen, unsere Treibhausgasemissionen auf Nettonull zu senken, wenn wir eine
Klimakatastrophe verhindern wollen. Lebt Politik neu! – beschneidet den Einfluss politischer und
wirtschaftlicher Eliten und gebt der Klimawissenschaft eine starke Stimme im politischen Prozess
durch die Gründung von Bürger:innenversammlungen.

Es ist klar, dass sich so gravierende Forderungen nur durchsetzen lassen, wenn es der
Klimaschutzbewegung gelingt, einen Einsatz vieler Menschen für diese Ziele zu erreichen. XR will und
muss eine Massenbewegung werden – in enger Kooperation mit anderen Klimaschutzbewegungen
und anschlussfähig für viele und auch sehr unterschiedliche Menschen, die ihre verschiedenen
Sichtweisen auf verschiedene Dinge – inklusive eventuell vorhandener politischer Differenzen - nicht
so schwer gewichten, dass sie sich separieren. Der gemeinsame Kampf für Klimagerechtigkeit dient
in jedem Fall der Verteidigung eigener Interessen. Vielen Menschen bei Extinction Rebellion ist es
darüber hinaus auch persönlich wichtig, dass wir als Bewegung vielfältig sind und noch vielfältiger
werden – was verschiedene Altersgruppen, ebenso wie diverse Geschlechter, Herkünfte und
körperliche Voraussetzungen mit einschließt.

Das klingt so einfach und ist doch unglaublich kompliziert. Es konfrontiert uns mit dem sogenannten
Toleranzparadox: Damit jede:r bei XR willkommen sein kann, müssen wir Verhalten verhindern, das
systematisch oder direkt andere Menschen aufgrund ihrer Identität abwertet, angreift oder
ausschließt. Wenn wir zu denen tolerant sind, die anderen gegen-über intolerant sind, dann
zerstören sie unsere Toleranz. Wenn wir Rassist:innen in unserer Bewegung dulden, dann werden
diese alle gegen die sie ihre menschenverachtenden Vorurteile hegen, angreifen und ausschließen.
Oder sie werden passiv durch ihre Anwesenheit dafür sorgen, dass diese Menschen sich bei uns nicht
wohl und sicher fühlen können. Wir können also unser 6. Prinzip [1] nur dann aufrechterhalten, wenn
wir nur diejenigen Menschen willkommen heißen, die in der Lage sind, alle anderen willkommen zu
heißen. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn Menschen bei XR unwillkommen sind, dann sind sie es
aufgrund ihres Verhaltens, nicht aufgrund ihrer Identität. Das ist es, was unser Minimalkonsens,
unsere zehn Prinzipien deutlich benennen – und gleichzeitig leichter gesagt als getan.
Den hier beschriebenen Spagat zu schaffen, wird uns noch viele Gespräche und auch Auseinandersetzungen abverlangen - anders kann eine so breite und diverse Bewegung wie XR nicht
dauerhaft bestehen. Dies wird uns Kraft und Geduld abverlangen:
Das stetige Bemühen, unnötige Verletzungen zu vermeiden, aber gleichzeitig bestimmt und klar zu bleiben. Dabei dürfen wir zusätzlich nicht aus dem Blick verlieren, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn wir das in Frage stellen, was wir bei XR das toxische System nennen – wenn es uns gelingt, unsere Gesellschaft so verändern, dass gegenseitige Wertschätzung, Solidarität, ein toleranter Umgang miteinander, frei von Ausgrenzung, unsere Leitprinzipien werden.

Und weil wir – genau wie ihr – wissen, dass unser Gesellschaftssystem in seiner derzeitigen Form nicht tragbar ist, und dabei das Leben und die Vielfalt der Menschen auf humanitäre und tolerante Art und Weise schätzen, bitten wir euch um eure uneingeschränkte Solidarität, und darum potentielle
gemeinsame Zukunftsprojekte nicht abzulehen. Eine andere Welt ist möglich – Träume werden dort
lebendig, wo Handlungen beginnen.

In Freundschaft und mit solidarischen Grüßen
Die Extinction Rebellion OG Rostock

[1]
6. Prinzip im Original-Wortlaut: „Alle sind willkommen – so wie sie sind. Wir arbeiten aktiv daran, ein
geschütztes und für alle zugängliches Umfeld zu schaffen.“

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