Das Bündnis empfiehlt: Fokus Asylpolitik: erstmalige Rekonstruktion der Nachgeschichte der ZASt in Lichtenhagen und der Einrichtung der ZASt in Nostorf-Horst
Am Morgen des 24. August 1992 werden die rund 200 Geflüchteten, die zu diesem Zeitpunkt in der sog. Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZASt) in Rostock-Lichtenhagen untergebracht sind, auf Busse verteilt und aus der Stadt geschafft. Stunden später, in der Nacht zum 25. August, evakuiert die Polizei ebenfalls die mehr als 120 Bewohnerinnen des angrenzenden Wohnheims, die sich zuvor selbst in Wohnungen des benachbarten Aufgangs flüchteten. Drei Tage in Folge waren die Asylsuchenden und vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen den Anfeindungen, Aggressionen und Angriffen hunderter rechter und rassistischer Gewalttäterinnen ausgesetzt – alles unter den Augen tausender schaulustiger und jubelnder Anwohnerinnen. Im Fokus der anschließenden Aufarbeitungen stehen der desaströse Polizeieinsatz, politische Fehleinschätzungen, justizielles Versagen und Erklärungsversuche für rechte Gewalt in Ostdeutschland. Das „Wegschaffen“ der Angegriffenen – und damit, wie und wo es nach dem Pogrom für die Betroffenen weitergeht – wird in den Debatten hingegen weitestgehend verdrängt.
Der Vortrag widmet sich der Unterbringungssituation Geflüchteter im Anschluss an das Pogrom und rekonstruiert die stufenweise Verlagerung der ZASt vom Rostocker Stadtteil Lichtenhagen nach Horst, einem Ortsteil der Gemeinde Nostorf im westlichsten Zipfel Mecklenburgs. Unter Einbezug der zeitgenössischen Asylgesetzgebung wird der Prozess der Standortsuche nachgezeichnet. Dieser legt nicht nur die Kriterien offen, die für die neue Liegenschaft gelten mussten, sondern beleuchtet auch, welche Rolle die Ablehnung von Anwohnerinnen und Lokalpolitikerinnen spielte. In diesem Zuge thematisiert der Beitrag ebenfalls die Lücken in den archivierten Materialien: Welche Dokumente werden in staatlichen Archiven gesichert? Wer spricht dort zu wem und aus welcher Perspektive? Welche Stimmen sind abwesend? Welche Masternarrative werden durch diese Quellen bestärkt? Abschließend wird diskutiert, inwiefern die Auslagerung der Aufnahmestelle in die ländliche Peripherie die Gewalttaten nachträglich legitimierte und welche Rolle die Einrichtung in Nostorf-Horst im zukünftigen Gedenken an das Pogrom in Lichtenhagen einnehmen kann.
Referentin:
Cindy Hader promoviert an der Technischen Universität Chemnitz zu (pro)migrantischen Solidaritäten und ihren räumlichen Artikulationen. Ihre Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle zwischen politischer Praxis und kritischer Theoriebildung und umfassen translokale Praktiken, Formen von (Im-)Mobilität, Grenzräume und Widerständigkeit. Sie engagiert sich im No-Lager-Aktivismus und ist Teil von kritnet (Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung).
Format:
hybrid, im Rahmen der aktuell geltenden Hygieneregeln
Anmeldung:
via Mail an vielfalt@uni-rostock.de Johanna Schmidt, Vielfaltsmanagement
Perspektiven aus der Wissenschaft auf 30 Jahre Lichtenhagen 1992
Das Pogrom in Lichtenhagen 1992 fand als historischer Moment einen vielschichtigen, auch über Deutschland hinausreichenden Nachhall. Es stellt gemeinsam mit weiteren rassistisch motivierten Gewalttaten der frühen 90-er Jahre eine Zäsur dar.
Den 30. Jahrestag des Pogroms nimmt die Universität Rostock zum Anlass für eine interdisziplinäre Vortragsreihe. Im Sommersemester 2022 werden aktuelle Forschungsperspektiven auf Rostock Lichtenhagen 1992 präsentiert und dabei regionale mit überregionalen Perspektiven zusammengebracht.
Die insgesamt acht Vorträge beleuchten bisherige Leerstellen der Aufarbeitung der Ereignisse. Dabei verbindet die Ringvorlesung unterschiedliche Disziplinen und Perspektiven.
Hinweis:
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.