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Andreas Weber – Wirtschaft der Verschwendung – Die Biologie der Allmende

von Andreas Weber

Öko-logisch: Die wahre Ökonomie der Biosphäre

Es gibt eine seit Milliarden von Jahren erfolgreiche Allmendewirtschaft: die Biosphäre. Deren Öko-logie ist jener irdische Haushalt von Energie, Stoffen, Wesen, Beziehungen und Bedeutungen, der die menschengemachte Öko-nomie enthält und erst ermöglicht. Licht, Sauerstoff, Trinkwasser, Klima, Boden, Energie versorgen auch den Homo oeconomicus der Gegenwart, der sich nach wie vor von Erzeugnissen der Biosphäre ernährt.

Die Natur ist das gemeinwirtschaftliche Paradigma par excellence. Damit meine ich nicht nur, dass der Mensch mit den übrigen Wesen während einer überwältigenden Zeitspanne nach den Standards einer Commons-Wirtschaft zusammenlebte. Ich bin vielmehr überzeugt, dass die Beziehungen innerhalb der Biosphäre nach Allmendegesichtspunkten verlaufen. Darum kann uns die Natur eine schlagkräftige Methodologie für die Allmende als eine neue natürliche und soziale Ökologie liefern. Eine solche »existentielle Ökologie der Allmende« soll hier skizziert werden.

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Wirtschaftsliberalismus als heimliche Metaphysik des Lebens

Aber von welcher Natur ist die Rede? Um den Haushalt der Lebewesen ohne die Lasten der liberalistischen Ökonomie bzw. Natur-Metaphorik zu betrachten, ist es zunächst nötig, Öko-logie und Öko-nomie des natürlichen Haushaltens neu zu verstehen. Wir können dabei in der Natur eine Entfaltungsgeschichte der Freiheit erkennen, zu der hin sich autonome Subjekte in gegenseitiger Abhängigkeit entwickeln. Diese Auffassung steht freilich im Gegensatz zum gängigen Bild des Lebens und Stoffaustausches in Biologie und Wirtschaftslehre.

Wenige Modelle der Wirklichkeit waren in den letzten 200 Jahren so eng miteinander verschwistert wie die Theorie der Natur und die Theorie unseres Haushaltens. Beide Disziplinen fanden ihre heutige Form im viktorianischen England, beide prägten die entscheidenden Metaphern der jeweils anderen. Das führte dazu, dass Zustände der Gesellschaft auf den Kosmos abgebildet und die dort naturwissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse wieder auf die Gesellschaft projiziert wurden.

So lieferte Thomas Robert Malthus, ein politischer Ökonom, mit der Idee von Überbevölkerung und Ressourcenknappheit dem Biologen Charles Darwin das entscheidende Puzzlestück für die These vom »Überleben des Fittesten«. Diese erhob »Daseinskampf«, »Konkurrenz«, »Wachstum« und »Optimierung« stillschweigend zu Axiomen unseres Selbstverständnisses. Biologischer, technischer und sozialer Fortschritt werden allein aus der Summe einzelner Egoismen geboren: Im immerwährenden Wettkampf erschließen sich Arten (Firmen) ihre Nischen (Märkte) und erhöhen so ihre Überlebenschancen (Gewinnmargen), während schwächere (weniger effiziente) zugrunde gehen (Konkurs anmelden). Die daraus entstandene Wirtschafts- und Bio-Metaphysik enthält jedoch weniger eine »objektive Weltbeschreibung« als ein Urteil der Zivilisation über sich selbst.

Die Ökonomie sah sich zunehmend als harte Naturwissenschaft. Sie leitete ihre Modelle aus Biologie und Physik ab – bis hin zum mathematischen Begriff des Homo oeconomicus. Dieser – ein maschinengleich seinen Nutzen maximieren der kooperationsfeindlicher Egoist – entwickelte sich zum heimlichen Modell des Humanen. Umgekehrt profitierte auch die Evolutionsbiologie von ökonomischen Modellen. Das »egoistische Gen« ist kaum etwas anderes als ein auf die Biochemie zurückgespiegelter Homo oeconomicus (vgl. Dawkins 1978).

Man könnte die Allianz zwischen Biologie und Wirtschaft eine »ökonomische Naturideologie« nennen. Diese regiert heute unser Verständnis von Mensch und Kosmos. Sie definiert sowohl unsere körperliche Seite (den Homo sapiens als gengesteuerte Überlebensmaschine) als auch unseren gesellschaftlichen Aspekt (den Homo oeconomicus als egoistischen Nutzenmaximierer). Die Ratio hinter dem Wettkampf ums Überleben ist immer rival und exklusiv: Es geht darum, so viele Mitspieler wie möglich auszuschalten und sich das größte Stück vom Kuchen zu sichern, kurz: den anderen Leben zu stehlen. Geistesgeschichtlich war die Neuerfindung der Natur als ökonomischer Konkurrenz- und Optimierungsprozess eine zentrale Figur in der Einhegung der Allmende. Sie geht als geistige »enclosure« den realen Enteignungen und Vertreibungen voraus und legitimiert sie. Historisch fallen die ersten Umwandlungen von Gemeineigentum in Privatkapital in die frühe Neuzeit (ca. 1500-1800). In derselben Epoche brach sich im Denken die Vorstellung des französischen Denkers René Descartes Bahn, dass der menschliche Geist mit dem Körper nichts zu tun habe, dass dieser bloße Sache sei, ein mechanischer Automat, so wie alle übrigen nichtmenschlichen Lebewesen auch. Eine solche Auffassung ist die Absage an jede Form der Verbundenheit. Die Natur ist hier das Reich blinder Kausalzusammenhänge und somit für die menschliche Selbsterfahrung als Bezugspunkt nicht mehr verfügbar – so wie der gräfliche Wald immer weniger für den zum Tagelöhner herabgestuften Bauern verfügbar war. Die Idee, dass die unmenschlichen Kräfte von Optimierung und Selektion das Reich der »bloßen Dinge« und damit letztlich auch uns beherrschen, ist nur die konsequente Steigerung dieses Grundmodells der Entfremdung, des Grundmusters einer seelischen Exklusion.

Die Einhegung der einst allen frei verfügbaren Natur reicht bis tief in unsere Psyche hinein. Unter Kontrolle geriet zunehmend auch die innere Wildnis des Menschen, der sich immer weniger als verkörperter Teil des wachsenden Ganzen versteht und sich somit in seinen Erfahrungen und Gefühlen vom Rest des Kosmos isoliert erfährt – bis hin zur heute gängigen Idee, Natur existiere nur als Begriff, nicht als Realität, während sie real zerstört wird.

Die ökonomische Naturideologie schließt Wildnis, die sich von selbst vervollkommnet und die keinem Wesen gehört, aus der menschlichen Empfindung aus. Keine über die Prinzipien von Konkurrenz und Optimierung hinausgehende Beschreibung kann noch Allgemeingültigkeit beanspruchen. Eine solche ist nichts als schöne Illusion, der »in Wahrheit« die Triebkräfte des erbarmungslosen Wettbewerbs zugrunde liegen. Liebe reduziert sich auf die Wahl des besten Fortpflanzungspartners, Kooperation erscheint als Trick im Ressourcenwettkampf und künstlerischer Ausdruck als »Ökonomie der Diskurse«.

Die Enteignung bemächtigt sich des Homo sacer (Giorgio Agamben), jenes tiefsten Kerns individueller Unversehrtheit im Menschen, der die verletzliche Leiblichkeit, die pure Körperexistenz des Menschen enthält. In ihrer letzten Konsequenz droht die Einhegung der Allmende somit zu Biopolitik zu werden.

Natürlicher Antikapitalismus

Eine anderes Haushalten wird greifbarer, wenn sich nachweisen lässt, dass Biologie anders funktioniert als ein Optimierungswettkampf. Ein neues Bild ist tatsächlich überfällig, denn mittlerweile wird in der Biologie selbst die Geltung des Paradigmas »Alle gegen alle« in Frage gestellt. Der biologische Kosmos – und darin auch das Bild des Menschen – wandelt sich von einem Schlachtfeld feindlicher Optimierungsmaschinen zu einem Reigen von Subjekten, denen ihr eigenes Existieren etwas bedeutet und die ihre Existenzen in einem bedingten Wettbewerb und unter »schwacher Kausalität« miteinander aushandeln.

Diese Wandlung ergibt für die Schlagwörter des »biologischen Liberalismus« folgendes Bild:

  1. Effzienz: Die Biosphäre ist nicht effzient. Warmblüter verbrauchen über 97 Prozent ihrer Energie allein zur Unterhaltung des Körpers. Die Photosynthese erreicht einen lächerlichen Wirkungsgrad von rund sieben Prozent. Fische, Amphibien und Insekten müssen oft Millionen von Eiern legen, damit ein einziger Nachkomme überlebt. Statt effizient zu sein, ist die Natur redundant: Sie macht mögliche Verluste durch unvorstellbare Fülle und atemberaubende Verschwendung wett. Sie ist nicht sparsam, weil die Grundlage aller Arbeit, die Sonnenenergie, als Geschenk vom Himmel fällt.
  2. Wachstum: Die Biosphäre wächst nicht. Die Menge der Biomasse erhöht sich nicht. Der Durchsatz steigert sich nicht: Die Natur betreibt eine »Steady-State-Ökonomie«¹. Auch die Zahl der Arten vermehrt sich nicht notwendig, sie nimmt in manchen Epochen zu, in anderen wieder ab. Was sich aber erhöht, ist die Vielfalt von Erfahrung: Empfindungsarten, Ausdrucksweisen, Erscheinungsvarianten. Die Natur gewinnt somit nicht an Masse, sondern an Tiefe.
  3. Konkurrenz: Noch nie ist nachweislich eine neue Art aus der Konkurrenz um eine Ressource entstanden. Arten werden vom Zufall geboren: Durch überraschende Mutationen, durch die Isolation einer Gruppe vom Rest ihrer Artgenossen, durch unerwartete Symbiosen, also durch Kooperation. Erhöhte Konkurrenz allein – etwa um einen begrenzten Nährstoff bewirkt biologisch Verödung.
  4. Knappheit: Die grundlegende energetische Ressource der Natur, das Sonnenlicht, ist im Überfluss vorhanden. Auch eine zweite entscheidende Ressource, die Zahl ökologischer Beziehungen und neuer Nischen, ist nach oben unbegrenzt. Eine hohe Zahl von Arten und die Vielfalt der Beziehungen zwischen ihnen führen in einem Lebensraum nicht zu verschärfter Konkurrenz und Dominanz eines »Stärkeren«, sondern zu mehr Beziehungen zwischen den Arten und damit zur Steigerung der Freiheit bei Zunahme gegenseitiger Abhängigkeit. Je mehr verschwendet wird, desto größer ist der Reichtum.
  5. Eigentum: In der Biosphäre existiert er nicht. Nicht einmal der eigene Körper gehört einem Individuum – sein Stoffwechselt und wird dauernd durch Sauerstoff, CO2 oder Nahrung ersetzt. Sprache ist von der Gemeinschaft der Sprecher hervorgebracht worden. Die Wildnis des von selbst Gewordenen, über das der Einzelne nicht verfügt, durchzieht dessen innerste Identität. Jede Individualität, jedes inmitten anderem Leben gelungene eigene Leben, ist somit einer sowohl biologischen als auch symbolischen Allmende geschuldet.

Commons-Elemente der Biosphäre

Im Laubwald gelten andere Regeln des individuellen und des gemeinschaftlichen Gedeihens als in einer Trockenwüste, denn in der Natur entfalten sich Subjekte unter jeweils komplexen und lokal-spezifischen, immer wieder neu entstehenden Beziehungen. Die Gesamtheit dieser Entfaltungen ist der Lebensraum, den die Wesen nicht einfach nutzen, sondern dessen Bestandteile sie sind. Ihr Gedeihen ist an das Gedeihen des gemeinsam hervorgebrachten Systems gekoppelt. Dessen Gesundheit liegt auf einem von Augenblick zu Augenblick neu errungenen prekären Gleichgewicht zwischen zu viel Autonomie des Einzelnen und zu strengen Zwängen durch das Ganze. Die jeweiligen Erscheinungsweisen dieser Balance sind die sinnlichen Formen der Natur – jene Schönheit des Lebendigen, welche die meisten Menschen mit dem Gefühl von Sinn und Zugehörigkeit erfüllt.

Die Natur als Ganze ist das Paradigma eines Haushaltes der Gemeingüter. Nichts ist in ihr Monopol, alles ist Open Source. Nicht das egoistische Gen ist die Quintessenz des Organischen, sondern der offenliegende Quelltext jeder genetischen Information. Auch die Gene, die heute patentiert werden, sind natürlicherweise nicht rival und nicht exklusiv, und nur so bringen sie Neuheit zustande. Die DNA konnte sich in so viele Spezies verästeln, weil alle ihren Code nutzen dürfen, weil jeder das für ihn Sinnvollste daraus basteln kann. So besteht das menschliche Erbgut zu etwa einem Fünftel aus den Genen von Viren. Wie es in der Natur kein Eigentum gibt, so gibt es auch keinen Abfall. Alle Verfallsprodukte sind Nahrung. Jedes Individuum macht sich, wenn es stirbt, einem anderen zum Geschenk, so wie es selbst durch die Gabe des Sonnenlichts seine Existenz empfangen hat. Zwischen Geben und Nehmen herrscht ein Zusammenhang, in dem Produktivität Verlust bedingt.

In der ökologischen Allmende stehen eine Vielzahl unterschiedlicher Individuen und Arten in mannigfachen Verbindungen – Kooperation und Konkurrenz, Partner- und Beuteschaft, Produktivität und Destruenz. Sie alle folgen jedoch einem übergeordneten Gesetz: Langfristig hat nur solches Verhalten Bestand, welches dem Ökosystem Produktivität ermöglicht und das Netz der Beziehungen nicht schlagartig zerstört. Das Individuum kann sich nur selbst realisieren, wenn sich das Ganze realisiert. Ökologische Freiheit gehorcht dieser Notwendigkeit. Je tiefer die Bezüge im Ganzen des Systems werden, desto mehr schöpferische Nischen bieten sich für die einzelnen Teilnehmer.

Allmende als Lebensbeziehung

Eine genaue Analyse der Ökonomie der Natur ist in der Lage, eine Ontologie der Allmende zu liefern; das heißt: eine allgemeine Theorie der Funktionsprinzipien oder Muster der Allmende, welche die Unterscheidung zwischen »materiell« und »sozial« zu integrieren im Stande ist. Natürliche Prozesse definieren die Richtschnur, um den Umgang mit dem verkörperten, materiellen Aspekt unserer Existenz in eine »Kultur unserer Lebendigkeit« zu verwandeln. Der Begriff der »Allmende« (oder »Commons«) liefert das verbindende Element zwischen dem »Natürlichen« – der von selbst werdenden Welt der Wesen und Arten – und dem »Sozialen« oder »Kulturellen« – der Sphäre der vom Menschen mittels symbolischer Systeme, Diskurse und Praktiken gemachten Dinge. Die Natur in ihremgenuinen Allmendecharakter zu verstehen ist ein Weg, uns selbst neu zu verstehen, und zwar sowohl in unserer biologischen wie in unserer sozialen Lebendigkeit.

Wenn die Natur tatsächlich ein Allmendesystem ist, besteht konsequenterweise die einzige Möglichkeit, ein beglückendes Verhältnis zu ihr aufzubauen, in einem Haushalt der Gemeingüter. Die Selbstrealisation der Art Homo sapiens ist in einem Allmendesystem gut aufgehoben, da Kultur die arttypische Realisierung unserer Lebendigkeit ist. Eine Gemeinschaft (zwischen Menschen und nicht-menschlichen Akteuren) nach dem Prinzip der Commons zu organisieren heißt stets, individuelle Freiheit in und mit der Freiheit der Gemeinschaft zu erhöhen.

Existentielle Auswirkungen verschiedener Arten des Haushaltens

Tabelle

Die Wirklichkeit ist, anders als unsere dem Dualismus verhaftete Kultur annimmt, nicht in die zwei Substanzen des deterministisch gedachten Materiellen, der Biophysik, und des freiheitlich verstandenen Immateriellen, der Kultur und Gesellschaft, gespalten. Lebendige Wirklichkeit hängt vielmehr immer und auf jeder Ebene vom Gelingen einer prekären Balance zwischen Autonomie und Bezogenheit ab – von einem schöpferischen Prozess, in dem historisch und lokal einmalige Prinzipien für die Steigerung des Ganzen durch die Selbstrealisierung des Einzelnen geschaffen werden und umgekehrt. Es sind Funktionsprinzipien, die eine stets fragile Balance zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft zum Ziel haben. Diese Grundsätze gelten für die Autopoiese, die Selbstherstellung des Organischen, ebenso wie für eine gelungene menschliche Beziehung, für das Gedeihen eines Ökosystems genauso wie für gelingendes Wirtschaften im Einklang mit den Stoffhaushalten der Erde. Es sind die Gesetze der Allmende.

Der Allmendegedanke ist somit das vereinende Band für eine Weltsicht, die nicht länger vom Gegensatz Natur – Gesellschaft/Kultur ausgeht, sondern von den vielfältigsten Gemischen zwischen Kulturen und Naturen. Er hebt die Konkurrenz zwischen dem Ökologischen und dem Sozialen auf. Im Kern einer jeden Existenz, die sich der Allmende verpflichtet, liegt die Problematik, wie das Gedeihen des Einzelnen unter Steigerung des ihn enthaltenden und tragenden Ganzen realisierbar ist. Genau an diesem Punkt kehren die theoretischen Überlegungen in die Praxis zurück, in die Rituale und Idiosynkrasien des Vermittelns, Kooperierens, Sanktionierens und Einigens. Auch hier ist die Praxis der Allmende nichts anderes als die Praxis des Lebens.

Literatur

  • Dawkins, Richard (1978): Das egoistische Gen, Reinbek bei Hamburg.

Fußnoten

  1. Zustand einer Wirtschaft, bei dem alle relevanten Größen relativ zueinander konstant sind (Anm. der Hg.).

Beitragsbild "amerikansiches Eichhörnchen" von "Pexels" unter CC 0

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